Der Bonsai „blutet“
Wenn ein Bonsai nach dem Schnitt blutet, sondert er Saft ab. Obwohl der Begriff dramatisch klingt, ist dieses meist kein Grund zur Besorgnis.
Nach einem frischen Schnitt kann es passieren, dass der Bonsai „blutet“. Aus der Schnittstelle tritt dann entsprechender Saft aus.
Wie stark das Bluten ist und wie lange es anhält, unterscheidet sich von Art zu Art und von Bonsai zu Bonsai.
Besonders Birken und Ahorn können generell leicht "bluten", wenn du Äste schneidest oder kürzt. Anfällig für das Bluten sind aber auch Robinie oder Weinrebe.
Warum blutet ein Bonsai?
Dass ein Bonsai bluten kann, hängt mit seinem Versorgungssystem und seinem Stoffwechsel zusammen. Bonsai im Kleinen oder Bäume in Großen verfügen über zwei Leitungssysteme:
Das Xylem besteht aus Wasserleitgefäßen, die das Bodenwasser von den Wurzeln zu den Blättern leiten. Das Bodenwasser enthält außerdem gelöste Mineralstoffe. Treibende Kraft hinter diesem Leitsystem ist der Wurzeldruck, der Wasser und Nährstoffe gewissermaßen nach oben drückt.
Das Phloem setzt sich aus sogenannten Siebzellen zusammen. Sie transportieren die Stoffe, die der Baum durch Photosynthese selbst herstellt. Durch das Phloem kann der Baum die Stoffe von den Blättern aus dorthin weiterleiten, wo sie benötigt werden.
Die Transportrichtungen der beiden Leitsysteme sind also grob gesagt einander entgegengesetzt. Das Xylem sitzt im Holzkörper des Baumes, während das Phloem sich direkt hinter der Rinde befindet.
Wenn ein Bonsai blutet, ist dafür in der Regel das Xylem verantwortlich. Wird der Baum verletzt oder angeschnitten, verschließt sich das hinter der Rinde sitzende Phloem normalerweise automatisch.
Anders verhält es sich mit dem Xylem: Seine Wasserleitgefäße schließen sich nicht, sondern bleiben geöffnet. Durch den anhaltenden Wurzeldruck werden so Wasser und Nährstoffe durch die Schnittwunde herausgedrückt.
Blutende Baumarten und der Schnitt
Das Bluten tritt bei anfälligen Arten besonders stark zwischen Winterende und Frühlingsanfang auf – also bevor der Baum austreibt. Der Grund dafür ist wahrscheinlich die sogenannte Mobilisierungsphase: In dieser Zeit transportiert der Baum gespeicherte Reservestoffe aus Wurzeln und Stamm in seine Zweige und Knospen, um ihr Wachstum zu unterstützen. Schneidest du ihn während dieser Phase an, sorgt der Wurzeldruck dafür, dass das gespeicherte Wasser an der Schnittstelle austritt.
Blutende Baumarten wie die Birke oder den Ahorn schneidest man deshalb besser nicht zu Beginn des Frühjahrs.
Grundsätzlich sollte, wenn man vermeiden will, dass der Baum stark blutet, in dieser Phase also auf einen Schnitt verzichtet werden. Besser geeignet für einen Schnitt ist die Zeit zwischen August und der Zeit des Blattfalls oder kurz danach. So kann sich die Schnittwunde vor dem Winter rechtzeitig verschließen und blutet während der Mobilisierungsphase nicht.
Ein Wundverschluss ist an kleinen Schnittstellen der Zweigen unnötig und würde eh auf den nassen Stellen nicht halten.
Ist es schlimm, wenn ein Bonsai blutet?
Es stellt sich aber die Frage, ob das Bluten dem Bonsai überhaupt schadet. Darauf gibt es aufgrund fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse und unterschiedliche Einschätzungen bisher keine eindeutige Antwort.
Fest steht, dass sich das „Bluten“ des Bonsai nicht mit dem menschlichen Blutungsvorgang und den damit verbundenen Gefahren vergleichen lässt. Für den Birken oder Ahorn ist, bei geringfügigem Austritt und schneller Wundheilung, das Bluten zum Beispiel unbedenklich. Es ist ein natürlichen Vorgang.
Dessen ungeachtet verliert der Bonsai beim „Bluten“ natürlich Wasser und Nährstoffe. Vor allem bei größeren Mengen wird dieser Verlust für potenziell schädlich gehalten und befürchtet, dass er den Bonsai schwächen könnte. Ein solcher Zusammenhang mag naheliegend erscheinen, ist aber auch noch nicht bestätigt. Auf jeden Fall darf in dieser Zeit das zeitnahe Wässern nicht vernachlässigt werden, da gegebenfalls die Wurzeln Schaden nehmen können.
Andere Theorien stufen das Bluten sogar als positiv ein: Der Saftfluss könne den Baum dabei unterstützen, verletzte Gefäße zu schließen und unerwünschte Sporen davon abhalten, über die Schnittwunde ins Holz einzudringen. Aber auch dafür gibt es jedoch keine klaren Beweise.
In der Praxis wird selten beobachtet, dass die Bonsai durch die Blutung merklichen Schaden nehmen. Große Sorgen muss man sich also höchstwahrscheinlich nicht machen, wenn man feststellst, dass ein Bonsai blutet. Das Bluten ist aber auf jeden Fall ein paar Tage zu beobachten, um, wenn es länger dauert, kurzfristig einschreiten zu können.
Ist man dennoch unsicher, hältst man sich am besten an die Empfehlung, zum Bluten neigende Bonsai rechtzeitig vor Wintereinbruch oder vor dem Austrieb zu schneiden.
von
Christopf Hartmann